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Manuele Fior
Sektionen mit sanftem Skalpell 1. bis 10. Juni 2012 Öffnungszeiten: Di/Mi/Fr 15–18, Sa 11–14 Uhr
Sonderöffnungszeiten 7. bis 10. Juni: Do 12–19, Fr/Sa 10–19, So 10–18 Uhr Kunstverein – Neue Galerie
Es sieht so aus, als sei das Werk von Manuele Fior ein neuer Brennpunkt, in dem sich Bewegungen der künstlerischen Moderne mit Entwicklungen der grafischen Narration treffen. Fior ist ausgegangen von grafisch haptischen Schwarz-Weiß-Effekten (in der Kurzgeschichte „Giorgio e il drago“ wie in seiner Debüt-Erzählung „Menschen am Sonntag“). In seinem ersten Comic-Roman „Ikarus“ hat er die Farbe quasi als grafisches Element eingesetzt. Flächiges Rot tritt zu Schwarz und Weiß und verleiht Körpern neues Volumen und Räumen neue Tiefe. In der Schnitzler-Adaption „Fräulein Else“ werden Aquarellfarben über die grafischen Bildstrukturen der Vorzeichnungen gelegt. In Fiors großer Reflexion über die Metamorphosen von Liebe und Entfernung „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“ ist die Farbe schließlich zum dominanten Stimmungsträger geworden. Die ästhetische Moderne grundiert diese allmähliche Entfaltung eines Talents mit Herkunftsverweisen auf den grafischen Picasso, auf den Jugendstil, die Ausdrücklichkeit von Gelb im Expressionismus, die Symbolzeichen und Symbolfarben Edvard Munchs und den unmittelbaren Vorbildcharakter der Kunst-Comics von Lorenzo Mattotti.
Wie in einer Zeitlupenaufnahme erblüht die bildnerische Erzählkunst des Manuele Fior. Dabei scheinen die Stationen seines Lebenswegs wenig Einfluss zu haben. 1975 kam er im norditalienischen Cesena zur Welt. Nach einem Architekturstudium in Venedig lebte er eine Zeit lang in Berlin, zog dann nach Oslo und weiter nach Paris. Vielleicht dass ihm Deutschland das Faustische nahegebracht hat, das Tastende, Fragende, den Drang, begreifen zu wollen. Nicht nur, dass einige seiner Figuren den Namen Faust tragen, Fior selbst zeigt sich in seinen Erzählungen als Seelenforscher. Kein Wunder, dass ihm „Fräulein Else“ zum Stoff wurde, dieser erste, konsequent durchgehaltene innere Monolog der Literaturgeschichte, der die Psyche der monologisierenden Titelgestalt ganz nackt macht. In Arthur Schnitzlers Novelle geht es nur scheinbar um körperliche Entblößung. Und Manuele Fior gestaltet konsequent den Augenblick der Nacktheit ganz in der Statuarik Edvard Munchs, die Durchblick erlaubt auf die Verlorenheit des Individuums in diesem Moment.
Forschung im Sinne von beinahe chirurgischer Sektion – allerdings mit ganz sanftem Skalpell – ist alles bei Fior. In „Giorgio e il drago“ versucht er inmitten psycho-grafischer Linienwirrungen den Kampf des Menschen mit dem Dämon innen und außen zu ergründen. In „Ikarus“ beobachtet er in beinahe antikisch geöffneten Landschaftspanoramen die Reflexe des Mythos von Erfindung und Untergang in der Seelenlage der Moderne. In „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“ schließlich geht er meist sehr dicht an die nur skizzenhaft entworfenen Charaktere einer Drei- und Mehrecks-Affäre heran, will ihre Gefühlsvaleurs in Farbvaleurs wie in Körperhaltungen und mimischen Masken beschreiben, verwandelt dazwischen jedoch immer wieder Panels oder ganze Seiten in Landschaftsgemälde. Denn das Thema ist ja die Verwirrung der Emotionen durch Reisen, durch Bewegung in einer grenzenlos gewordenen Welt. Wenn er die Panel-Rahmen dann wieder eng macht, gibt Fior seinem Personal jene überschaubare Begrenztheit zurück, die man Heimat nennen könnte.
Mit vielen Preisen ist Manuele Fior für seine Arbeit ausgezeichnet worden. „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“ bekam beispielsweise 2011 in Angoulême die Auszeichnung für das beste Album, aktuell ist es für den Max und Moritz-Preis 2012 nominiert. Die Szene spürt offenbar, dass hier ein zarter, genauer, hinter den Fassaden suchender Künstler am Werk ist, der nicht nur in Herzen, sondern auch in Hirne trifft.
Herbert Heinzelmann
Eintritt frei!
Künstlergespräch (zusammen mit Cyril Pedrosa): Samstag, 9. Juni, 13:30 Uhr – Rathaus, Raum Nr. 117, 1. Stock
Empfang in der Ausstellung: Samstag, 9. Juni, 16 Uhr
Eintritt frei!
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